Kulturgeschichte der Zahl

Zur Kulturgeschichte der Zahl

Die Bildung von Zahlvorstellungen ist bereits aus der Jungsteinzeit bezeugt und vermutlich ebenso kultischen wie praktischen Ursprungs. Das einfachste Zahlensystem, das Dyadische oder Zweiersystem, war schon den Indogermanen bekannt. Als Ziffern dienten auf früheren Kulturstufen leicht zählbare Gegenstände, besonders Bambusstäbchen, Steinchen, Striche, Knoten sowie Körperteile. Die Benutzung der Finger oder der Finger und Zehen führte zum Zehner- und Zwanzigersystem, bei einigen Völkern vielleicht ursprünglich infolge der Abspaltung des Daumens zunächst zum Vierersystem.

Die Babylonier benutzen ein Sechziger- oder Sexagesimasystem, die Maja und Azteken ein Zwanziger­system. Das  Zehnersystem, das dezimale Positionssystem, wurde von den Indern mit der Einführung der Null erfunden.

Unsere Sitte, zwischen zehn und hundert den Einer vor dem Zehner zu nennen, rührt laut Brockhaus aus der Zeit, als unsere Vorfahren soeben anfingen, über zehn hinauszuzählen.

Die Finger-Methode wurde schließlich gar zur Kunst erhoben. So lehrten im Mittelalter zahlreiche Abhandlungen die Art und Weise, mittels einer Gestensprache, die nur wenig an mathematische Übereinkünfte erinnert, auf den Fingern der Hand von 1 bis 20.000 zu zählen.

Diese Methoden blieben im allgemeinen Gebrauch, bis schließlich das schriftliche Rechnen mit Hilfe arabischer Ziffern eine weite Verbreitung fand.

 Geschichte der ZahlAndere Zivilisationen haben andere Rechengeräte erfunden, so etwa die quipu, die in Südamerika, auf den Inseln des Pazifik und in Afrika verwendet wird. Die quipu ist ein Instrument zur Aufzeichnung von statistischen und historischen Daten, das bei den Inka sehr verbreitet war.

Der Inkastaat setzte sich in seiner ganzen Größe aus Völkern zusammen, die keine Schrift kannten und ihre Kultur deshalb mündlich überlieferten. Trotz dieses Mangels zeichnete sich das Inka-Reich durch eine hervoragende Planung und Lenkung der Wirtschaft aus. Es erscheint rätselhaft, wie sich ein Staat so organisieren konnte, ohne irgendeine Art von Schrift zu haben, mit der er die notwendigen statistischen Angaben zur Führung eines funktionierenden Wirtschaftssystems festhalten konnte. Die quipu bildeten das Instrument, mit dem die Inka buchhalterische, aber auch historische Daten dokumentieren konnten. Der quipucamayoc war der Beamte, der den Umgang mit den quipu beherrschte.

 Geschichte der ZahlEine quipu besteht aus einer Reihe von Schnüren in verschieden Farben und Längen, die an verschiedenen Stellen für Zehner-, Hunderter- oder andere Einheiten Knoten [oder Muscheln] trugen. Die auf diese Weise festgehaltenen  Zahlen waren die Ergebnisse von Rechenoperationen, die auf einem mit Steinchen oder Maiskörnern ausgestatteten Abakus im Dezimalsystem durchgeführt wurden.
Große quipu wurden für die Staatsrechnung verwendet, kleinere, um besispielsweise die Anzahl von Lamas festzuhalten, die einer Familie gehörten
 Geschichte der ZahlIn der Sprache der Quechua bedeutet quipu gleichzeitig Rechnung, Zahl und Knoten. Dabei gab es drei Arten von Knoten, einfache Knoten, Doppelknoten, die aus zwei einfachen Knoten bestehen, und Mehrfachknoten, die aus mehreren spiralförmigen Umdrehungen zusammengesetzt sind. Garcilaso de la Vega beschreibt 1609, die Knoten, die derselben Größenordnung entsprächen, befänden sich auf den verschiedenen Schnüren in der gleichen Höhe.

Diese Ähnlichkeit zwischen der Anordnung der Knoten auf den Schnüren und der Kolonnenposition unserer arabischen Zahlen ordnet der quipu in der Geschichte der Menschheit insofern eine Sonderstellung zu, als im Altertum wohl die Hindus, die Maya und die Inka, nicht aber die alten Römer und Griechen schon mit der Positionsmathematik vertraut waren.

Bei dem antiken Abakus handelt es sich um eine Tafel mit vorgezeichneten Spalten, auf die Zahlenmarken gelegt werden. Jede Kolonne entspricht einer Zehnerpotenz. Nach Hinzufügen oder Entfernen von Marken liest man das Resultat ab. Die sogenannten ,,Rechenmaschinen”, bei denen Kugeln auf Drähten verschoben werden, sind vom Abakus abgeleitet.

Zahlensymbolik

Die volkstümlichen Überlieferungen drücken bald die Furcht vor den Zahlen und deren Ablehnung aus, bald den Glauben an magische und heilbringende Kräfte, die in ihnen verborgen sein sollen.

Die Zahl hat neben ihrem Rechenwert in den meisten Kulturen und Religionen von Anfang an auch sinnbildliche Bedeutung und einen Symbolwert gehabt. Von der babylonischen und ägyptischen Astrologie und Götterlehre ziehen sich Traditionen über die pythagoreisch-orphische Mystik bis zur mittelalterlichen Kabbala; häufig hat die Zahlensymbolik dabei als eine Art Spiegelbild des Weltalls oder der Sphärenharmonie (Pythagoras) gegolten.
Kult und Mythos, religiöse Symbolik und Spekulation, besonders auch Magie und Aberglaube sind bevorzugte Gebiete der Zahlensymbolik, die sich vor allem der niederen Zahlen (1 - 13) bemächtigt haben.
Ursächlich dürfte z.B. die Heiligkeit der 3 durch das natürliche Verhältnis (Vater-Mutter-Kind) bestimmt sein, der 4 durch die Himmelsgegenden oder Windrichtungen und Bewegungsarten, der 5 und 10 durch die Finger der Hände.

Die 7 spielt bei Babyloniern, Persern, Juden (Siebentagewoche, 7 mal 7 = 49 als Jubeljahr u. ä.) eine große Rolle, ebenso die 10 (Dekalog, Zehnten) und die 12 (Stämme Israels, Jünger Jesu).
Furcht und Ablehnung finden wir z. B. in dem auf die Ziffer 13 bezogenen Aberglauben. Die 13 gilt häufig als Unglückszahl, vielleicht wegen des 13. Monats im Schaltjahr, der am Südhimmel im Tierkreiszeichen des (Unglücks-) Raben stand.
40, 70, 72, 99, 100 usw. gelten häufig auch als heilige Zahlen. Die heilige Zahl der Buddhisten ist 108, weshalb der buddhistische Rosenkranz 108 Perlen hat.
Die heilbringende Kraft der Ziffer drückt sich in manchen arabischen Talismanen in Gestalt magischer Quadrate aus, deren Summe 66 ergibt, die Zahl, die Allahs Namen entspricht und die ihrem Träger zu Reichtum verhelfen sollen.

Auch in den Würfeln hat man Symbole erkennen wollen. Die sechs Seiten sollen den sechs Weltaspekten entsprechen: dem unbelebten, dem pflanzlichen, dem tierischen, dem menschlichen, dem seelischen und dem göttlichen Aspekt.